Swiss Art Awards, 2006, Basel

Vita brevis, ars longa

Text: concept, press

Dokumentation

(fig 1: general view) (fig 2, 3, 4: detail)

concept:

Die Installation „Vita brevis, ars longa“ spielt mit dem Mythos der unvergänglichen Kunst. Hippokrates‘ Satz steht als historische Gedenkplatte programmatisch für die an den Seiten hängenden Sätze, welche den Werbungen für Luxusresorts in Südostasien, für das Touristenbüro von Monaco, der Uhrenwerbung von Patek Philippe und derjenigen für Alfa Romeo entnommen sind. Ob es nun „Larger than Life“, „Mediocritiy is a sin“, oder „Begin your own Tradition“ heisst, alle Slogans appellieren an einen Selbsterneuerungswillen und eine Überwindung des Endlichen. Die Vorstellung vom Überirdischen, Übermenschlichen, wie sie aus dem antik-griechischen Credo spricht, wird hier durch die Verewigung in Stein in gleicher Weise für die im Kontext der Werbung entstandenen Sätze behauptet. Kunstimmanente Parameter wie Aura, Pathos und Emphase geraten hier in Schräglage, indem ein Missverhältnis zwischen Erscheinungsbild und den letteralen Bedeutungen geschaffen wird. (Close)

Eine Münze werfen

Was die eidgenössischen Kunstrichter auszeichnen: Die Swiss Art Awards 2006 an der Art

15. Juni, 2006, ST. GALLER TAGBLATT. Kultur. Ursula Badrutt Schoch


Neben den Messehallen der Art hat die Eidgenossenschaft den roten Teppich ausgerollt. Sie zeigt, was morgen die Schweizer Kunstszene prägt.


«Mittelmässigkeit ist eine Sünde». Pascal Häusermann hat Sprüche aus Werbung und Wirtschaft nach guter Steinmetzmanier in Granittafeln gemeisselt. Die schnelllebige Werbewelt und dagegen die Sehnsucht nach Ewigkeit: Diesem Widerspruch setzt das Werk ein befreiendes Denkmal.

Damit hat der in Zürich lebende Ostschweizer, den die Ausserrhodische Kulturstiftung schon mehrfach ausgezeichnet hat, erstmals einen der begehrten Swiss Art Awards für Künstler unter vierzig zugesprochen bekommen. Unmissverständlich kommentiert sein «Vita brevis, ars longa»-Raum Fragen der Konfrontation zwischen Kunst und Wirtschaft, die sich bei der jährlichen Kunstpreis-Vergabe aufdrängen.


Jacqueline Burckhardt, Präsidentin der Kunstkommission, spricht von einem verstärkten Hang der Künstlerinnen und Künstler zur Kunstgeschichte, zu Altmeisterlichem. Da findet sich auch die fast sakral anmutende Koje des erst 21-jährigen Matthias Wyss aus Biel, der ausser einem Swiss Art Award auch einen Preis der Kiefer Hablitzel Stiftung erhält. Seine minutiösen Menschengewimmel erinnern an Schlachtenbilder. Überhaupt ist Kriegerisches rundum präsent - am überzeugendsten bei Goran Galic und Gian-Reto Gredig.

Trompe l’oeil-Können, gepaart mit konzeptioneller Präzision und situationistischer Stringenz, zeichnet die Arbeit des anderen Ostschweizer Preisträgers, Markus Müller aus, die mit «Kubistischer Strom» und «Rahmen» Burckhardts Beobachtung bestätigen. Yves Mettler, unlängst in St. Gallen als Manor-Preisträger, hat vor einer Polaroid-Text-Wand aus dem Militärdienst einen Wachturm aus Karton gebaut. Statt Befehlen aber spricht der Lautsprecher Sätze von der Liebe.

Insgesamt ist 2006 die Westschweiz stark vertreten (darunter das berührende Werk der Lausannerin Elodie Pong). Einen Preis verdient hätten auch die Brüder Chapuisat, die ihre Installation im Innern einer Stellwand montiert haben - ein unsichtbares Stück Lebenswelt. Oder Loredana Sperini, die ihre Erfolgswelle mit den Stickereibildern zu brechen wagte und mit Wachsmalerei ihr Ringen um Ehrlichkeit fortsetzt. Oder der Bündner Christian Ratti, der ausserhalb der eigentlichen Ausstellungshalle eine Münzabwurfstelle aus luftigen Höhen im dritten Stock auf den harten Boden im Erdgeschoss eingerichtet hat. Poetischer und humorvoller als mit «Throw a Coin» lässt sich die Preisvergabe aus Sicht der Künstler nicht kommentieren.

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Pascal Häusermann