L’art de la guerre

L’art de la guerre, Eisen, Farbe, 300 x 278 x 160 cm

Merzhauser Straße 187 in Freiburg-Vauban

 

Ein Klettergerüst? Ein Fahrradständer? Ein Aussichtsturm? Ein Kunstwerk! Vor dem Green City Hotel an der Merzhauser Straße steht seit Mai 2017 eine von Pascal Häusermann geschaffene Plastik. Vier gezackte Kreisformen bilden übereinander geschichtet einen kleinen Turm, der in seinen strahlenden Farben einen bunten Akzent auf dem asphaltierten Platz setzt. Die begehbare Plastik aus bemaltem Roheisen konnte 2016 von der Stadt Freiburg angekauft werden und hat nun im Vauban ihren festen Platz gefunden.

Einige Freiburgerinnen und Freiburger mögen diese Arbeit bereits an einem anderen Ort gesehen haben: Im Sommer 2012 war „L’art de la guerre“ im Rahmen der Skulpturenausstellung aussichtKUNST auf dem Kanonenplatz aufgestellt. Der in Zürich lebende Schweizer Künstler Pascal Häusermann war zusammen mit mehreren anderen Kunstschaffenden eingeladen, eine ortsspezifische Arbeit für den Freiburger Schlossberg zu schaffen. Zur Vorbereitung ihrer Projekte setzten sie sich intensiv mit der Topographie und Geschichte Freiburgs auseinander. Pascal Häusermann war beim Besuch des Museums für Stadtgeschichte sofort von den historischen Stadtplänen fasziniert. Die gezackte Form der barocken Festungsringe von Sébastien Le Prestre de Vauban, der als Militärarchitekt Ludwig XIV. Ende des 17. Jahrhunderts Freiburg mit einer neuen Festungsanlage umgeben ließ, begeisterte ihn besonders. Häusermann begann, in Bibliotheken zu recherchieren und stieß dabei auf das Buch „L’art de la guerre“ des französischen Ingenieurs Alain Manesson-Mallet. Es wurde namensgebend für seine Arbeit. Manesson-Mallet zeigt, dass im 17. Jahrhundert Kunst und Krieg nicht als Gegensätze gedacht wurden und thematisiert die ästhetische Qualität von Festungsarchitektur. Diese entfernte sich nach und nach von rein zweckdienlichen Maßstäben und wurde zunehmend verspielter in ihren Formen. So ist auch bei der Freiburger Festung die vielfältige Variation in der Ausgestaltung der Zacken durchaus als künstlerische Formspielerei zu verstehen.

Dieses spielerische Element nimmt Häusermann in seiner Plastik auf. Für die Realisierung der Arbeit übertrug er die Umrisse der Vaubanschen Festungsanlage in seinen gewählten Maßstab. Die Größe der Plastik orientiert sich mit einer Höhe von 1,60 Meter am menschlichen Körper. Die vier konzentrisch angelegten Festungsringe wurden in Eisen nachgebaut und mit Verstrebungen übereinander gesetzt. Die äußere Befestigungsmauer auf dem Stadtplan ist zugleich die größte und unterste Schicht der Plastik. Was im Plan von außen nach innen gelagert ist, entfaltet sich im Raum von unten nach oben. Eine Stadtkarte abstrahiert ein urbanes Gefüge, schafft eine Übersicht, zeichnet Linien und Formen, die im Raum so nicht unmittelbar erfahrbar sind. Die aus der Vogelperspektive dargestellte, sternähnliche Form der Festungsanlage übersetzte Häusermann in

den dreidimensionalen Raum. Die Arbeit „L’art de la guerre“ wird damit physisch erlebbar. Man kann sie betreten und den Raum, den sie eröffnet, erfahren. Die Idee der Befestigung einer ganzen Stadt verdichtete Häusermann in einer Umgrenzung für einen einzelnen Menschen. Die massive Befestigungsarchitektur hat er in eine durchlässige, filigrane Plastik umgewandelt, welche die einzelnen Betrachterinnen und Betrachter in ihrem Inneren umfängt, ohne sie hermetisch einzuschließen.

Die Öffnung der gebauten Festung von Vauban verband einst die Stadt Freiburg mit dem Schlossberg und seiner Befestigungsanlage. Die Plastik Häusermanns ist nach Süden ausgerichtet. Wer sich der Arbeit von der Innenstadt kommend nähert, muss die Arbeit zunächst umrunden, um zum Eingang zu gelangen.

Je nach Wetter und Sonnenstand wirft die Plastik ornamentale Schatten auf den Boden. Diese wiederholen die filigrane Zeichnung der Festungsanlage Vaubans in je unterschiedlichen Verzerrungen auf dem Asphalt und binden so die Plastik an ihren grafischen Ausgangspunkt zurück.

Bei der Wahl der Farben ließ sich Häusermann von der Farbigkeit der historischen Karte inspirieren: Das Rot des obersten Rings korrespondiert mit den rot gezeichneten Gebäudegrundrissen der Freiburger Innenstadt. Für den zweiten Kranz wählte Häusermann das Gelb aus dem innersten Verteidigungsring. Die beiden unteren Schichten sind in Anlehnung an die Wiedergabe der äußeren Befestigungsmauern des Stadtplans in zwei leicht unterschiedlichen Grüntönen gestrichen. Die Vorlage Vaubans diente Häusermann für seine ganze Arbeit als wichtige Orientierung. Die Freiheit der Kunst kommt in einigen Aspekten jedoch deutlich zum Tragen. So weichen die Farben in ihrer Leuchtkraft vom historischen Plan ab und betonen das spielerische Element der Arbeit.

Im Schaffen Häusermanns bildet „L’art de la guerre“ einen Wendepunkt. Seit 2012 beschäftigt sich der Künstler intensiv mit Urbanistik und den bildhaften Dimensionen von Städten. So hat er 2015 in Zürich eine monumentale Bodenmalerei mit dem Titel „Traits of a Square“ realisiert. Mit violetter Farbe hat er auf dem Asphalt ein komplexes Liniennetz entstehen lassen, das durch vielfältige Überschneidungen je nach Betrachterstandpunkt verschiedene Dreiecks-, Rauten- und Sternformen aufweist, die durchaus einen formalen Bezug zu „L’art de la guerre“ zulassen.

An ihrem neuen Aufstellungsort markiert die Arbeit an der Kreuzung von Straßenbahnlinie, Fußgänger-, Fahrrad- und Autowegen einen urbanen Knotenpunkt. Wo bisher ein rein praktischer Durchgangsweg war, lässt die Plastik Häusermanns nun einen Platz entstehen. Er lädt zum Anhalten, Verweilen und Umschauen ein. Lässt man von hier aus den Blick umherschweifen, lassen sich viele Verbindungen zwischen dem Kunstwerk und seiner Umgebung entdecken: Die gezackte Form korrespondiert mit den schrägen Dächern des Sonnenschiffs auf der Straßenseite gegenüber und das Grün, Gelb und Rot nimmt die Farben der Häuser ringsum auf. Zugleich ist die Plastik auf

vielfältige Weise mit der Geschichte der Stadt und dem Namensgeber des Stadtteils verbunden. Sie spannt einen zeitlichen Bogen vom Freiburg im ausgehenden 17. Jahrhundert über die Zeit der französischen Besatzung am Ende des zweiten Weltkriegs, der Entstehung des Stadtteils Vauban und der neuesten urbanistischen Entwicklung mit Solarsiedlung und Green City Hotel.

Jolanda Bozzetti

000